Görgülü: „Nicht auf Teufel komm raus digitalisieren“
Gamze Görgülü ist etwas gelungen, das in der über 30-jährigen Geschichte des Franz-Bogner-Wissenschaftspreises erst zweimal vorgekommen ist: Sie war 2022 die einzige Preisträgerin in der Kategorie „Magister-/Masterarbeiten an Universitäten". Doch anstatt sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen, hat die Vorarlbergerin bereits ein weiteres Studium am Institut für Germanistik und Philosophie begonnen. Im Interview erzählt sie von spannenden Erkenntnissen aus ihrer Masterarbeit.
Sie haben eine Landeshauptstadt mit ihrer Bürger:innenkommunikation unter die Lupe genommen. Wie gut hat die Aufklärungs- und Informationsarbeit funktioniert?
Die Qualität der Aufklärungs- und Informationsarbeit wurde in meiner Studie nicht gemessen, da ich nicht auf der Seite der Bürger:innen, sondern des Amtes geforscht habe. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass die untersuchte Kommune die Aufklärungs- und Informationsarbeit der Literatur entsprechend aufbereitet und durchgeführt hat. Wesentlich dafür ist die Ausschöpfung des gesamten Kommunikationsrepertoires bzw. aller Möglichkeiten, die sich für ein Amt ergeben, um mit den Menschen in Kontakt zu bleiben. Wenn man also die Aufklärungs- und Informationsarbeit der Kommune aus der Sicht der Wissenschaft beurteilen will, wäre sie äußerst zufriedenstellend.
Welche Maßnahmen wurden ergriffen?
Wie die Forschungsliteratur und die Ergebnisse aus der Praxis zeigen: Die Maßnahmen der kommunalen Bürger:innenkommunikation sind vielfältig. Die zentralsten Maßnahmen, um die Kommunikationsziele (Aufklärungs- und Informationsarbeit; Minimierung von öffentlicher Verunsicherung; Hauptinformationsquelle für Bürger:nnen sein) zu verfolgen, bezogen sich auf die Gründung eines Krisenstabs, das Erstellen eines Krisenkonzepts, die Umstrukturierung der kommunalen Services und den interdisziplinären Austausch mit verschieden amtlichen Institutionen. Die ohnehin große Bedeutung der Prinzipien Transparenz, Glaubwürdigkeit, Respekt und Empathie rückten dabei noch einen Schritt in den Vordergrund.
Was sind die Learnings, die sich aus diesem komplexen Thema ergeben haben?
Krisenbezogene Learnings beziehen sich auf die Bedeutung von internen Prozessen und der Digitalisierung des Amtes. Trotzdem konnte herausgefunden werden, dass das Amt nicht „auf Teufel komm raus“ digitalisieren darf: Behörden müssen der öffentlichen Daseinsvorsorge im Rahmen der Gemeinwohlverpflichtung nachgehen. Das erfordert eine breite Streuung der Kommunikation. Deswegen sind traditionelle Kommunikationswege und analoge Dienste für die Interaktion mit verschiedenen Personengruppen wesentlich für die Kommunikationsarbeit. Ebenso zentral ist die reflexive Auseinandersetzung mit dem Verantwortungsbereich einer Kommune und die Forderung nach mehr Transparenz in der Zusammenarbeit mit anderen Verwaltungseinheiten – ganz nach dem Motto „Wir sitzen alle im selben Boot“.
Sie konstatieren in Ihrer Arbeit, dass die Risiko-, Krisen- und Notfallkommunikation ausbaufähig gewesen wäre. Was waren die Parameter, die weniger gut funktioniert haben?
Grundsätzlich muss hier festgehalten werden, dass die Untersuchung in Hinblick auf die vorherrschende Fachliteratur äußerst positive Ergebnisse erzielt hat – das Krisenmanagement ist quasi der Theorie gerecht geworden. Nichtsdestotrotz konnten Defizite festgestellt werden, die das Grundgerüst des Krisenmanagements betreffen: die – im Fall meiner Forschungsarbeit vor und nach der Pandemie unberücksichtigte – Risikokommunikation, die für das gesamte Krisenmanagement wichtig ist und den weiteren Verlauf der Situation beeinflusst. Aber: COVID ist ein Augenöffner für künftige Krisen gewesen. Insofern wurden die Erkenntnisse aus der Pandemie nicht ad acta gelegt, sondern können später wiederverwendet werden.
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- Meine bevorzugte Social Media Plattform ... Instagram.
Meine Stärken sind … Wissensdrang und Empathie.
Wenn ich nicht in der Kommunikation arbeiten würde, dann wäre ich das geworden … vermutlich etwas im kreativen Bereich wie Kunst, Literatur oder Film oder aber im Bildungssektor – da gibt es nämlich verdammt viel zu tun.
Dieses Buch liegt derzeit auf meinem Nachkästchen … „Herkunft“ von Sasa Stanisic.
Diesen Podcast hab ich zuletzt gehört ... „Boys Club – Macht & Missbrauch bei Axel Springer“ und „Mord auf Ex“ für den Nervenkitzel zwischendurch.
Diese drei Dinge nehme ich auf die einsame Insel mit ... Zahnbürste, ein gutes Buch und meine Analogkamera.
Diese drei Worte fallen mir zum Begriff „Kommunikation" ein ... Erfolg, Transparenz und Diskurs.
„Kommunale Bürger*innenkommunikation in Zeiten von COVID-19 – Eine qualitative Untersuchung der externen Risiko-, Krisen- bzw. Notfallkommunikation einer österreichischen Landeshauptstadt“ // Universität Wien // Betreuerin: Sabine Einwiller
Gamze Görgülü absolvierte ihr Bachelor- und Masterstudium in Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Derzeit ist sie in der Dienststelle für Kommunikation der Landeshauptstadt Bregenz tätig. Neben der Projektarbeit liegt ihre Hauptverantwortung auf der gesamten städtischen Web- und Social-Media-Kommunikation.
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