HANDBUCH UNTERNEHMENS-KOMMUNIKATION. Strategie, Management, Wertschöpfung.

Ansger Zerfaß, Manfred Piwinger (Hrsg.)
Springer Gabler, Wiesbaden 2. Auflage 2014

Rezension von Jörg Christoffel, freier Fachjournalist und Texter
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Bauchgefühl genügt nicht mehr

Mit der vollständig überarbeiteten Neuauflage des erstmals 2007 veröffentlichten Handbuches Unternehmenskommunikation (damals 930 Seiten) haben die beiden Herausgeber eine Herkulesaufgabe gestemmt: Auf 1347 Seiten haben Sie zusammen mit den 90 weiteren Autoren des in der Reihe Springer Nachschlagewissen erschienenen Werks ein Kompendium zu dem vielfältigen Fachgebiet der Unternehmenskommunikation zusammengestellt. Die Verfasser der insgesamt 67 Einzelbeiträge repräsentieren gleichermaßen Forschung und Lehre der Kommunikationswissenschaften wie auch die praktische Seite aus Sicht ausgewählter Großunternehmen wie etwa BASF, Daimler und Deutsche Post DHL. Hinzu kommen Fachleute aus anderen Disziplinen, die relevante Regeln – etwa juristische Rahmenbedingungen der Finanzkommunikation – erläutern. Im Inhaltsverzeichnis finden sich viele Namen mit Klang und Ruf, darunter Universitätslehrer wie der Baseler Professor und Sponsoring-Experte Manfred Bruhn, der Leipziger Professor Günter Bentele und die Stuttgarter Professorin Claudia Mast. Beide Herausgeber vereinen diese gute Mischung aus Theorie und Praxis in ihrer jeweiligen Person: Prof. Dr. Ansgar Zerfaß ist Universitätsprofessor an der Universität Leipzig sowie Professor in Communication and Leadership an der BJ Norwegian Business School. Seine Laufbahn schließt aber auch zehn Jahre in leitenden Funktionen der Unternehmenskommunikation und der Politikberatung ein. Er kennt also beide Seiten des Schreibtisches, Lehre und Praxis. Dasselbe gilt für Dipl.-Ing. Manfred Piwinger, dessen Erfahrung aus drei Jahrzehnten Unternehmenspraxis mit eingeflossen ist. Darüber hinaus gehört Piwinger zu den erfolgreichsten Publizisten im Bereich der Unternehmenskommunikation. Ein Wissensschatz, den er über Jahre hinweg im Rahmen eines Lehrauftrags in Leipzig auch persönlich weitergegeben hat.

Beide eint eine Mission: Sie wollen, dass Kommunikationsverantwortliche fundiert Rede und Antwort stehen können, wenn es darum geht, eine Kommunikationsstrategie zu argumentieren und zu gestalten. Diese Qualifikation – die Herausgeber sprechen von „deutlich gewachsenen Ansprüchen an die Professionalität“ – setzt gerade bei der strategischen Kommunikation einer großen Organisation Hintergrundwissen aus zahlreichen Disziplinen voraus. Im vorliegenden Handbuch gehören dazu neben juristischen Darlegungen, sozialpsychologische und soziologische Erklärungen sowie praxisrelevantes Wissen über Kommunikation und Information in Teilgebieten wie Public Relations, Marketing und Organisationsforschung. Diesen Mix liefern Piwinger und Zerfaß mit ihrem Handbuch auf dem letzten Stand der aktuellen Diskussion. Mit seiner Konzeption richtet es sich gleich an zwei Zielgruppen: Das Handbuch soll einen Beitrag dazu leisten, Kommunikationsfachleute und Top-Manager auf eine gemeinsame Wissensgrundlage zu stellen, damit sie dieselbe Sprache sprechen.

Hinter ihrer Mission steht vermutlich die Erfahrung des Praktikers, dass Kommunikationsfachkräfte intern nur dann gehört werden, wenn sie solide etwas beizutragen haben und dass Führungskräfte nur dann erfolgreiche Kommunikatoren sein können, wenn sie die Regeln ihrer Rolle kennen und „beziehungsfähig“ sind. Erst recht gilt das in rauem Wetter, wenn Reputation und Image einer Organisation durch Auseinandersetzungen – soziale „Shitstorms“ – bedroht sind, die vor allem die immateriellen Werte eines Unternehmens angreifen.

Als zentraler Nutzen des Buches dürfte sich erweisen, dass die Herausgeber gerade kein „Kochbuch“ mit naiven Schritt-für-Schritt Anleitungen vorlegen wollen. Auch den Elfenbeinturm vermeiden sie. Ihnen geht es um etwas ganz Anderes: Sie sprechen Führungskräfte aus Linie und Stab in verantwortlicher Position an, um ihnen den gezielten Zugriff auf Spielregeln, Instrumente und Denkweisen zu geben, mit denen sich eine spezifische Kommunikationsstrategie entwickeln lässt, die „die übergeordnete Unternehmensziele nachweisbar unterstützt und immaterielle Werte wie Reputation, Marke und Organisationskultur stärkt“. In einem Zeitalter der Effizienz und Optimierung ist es nur folgerichtig, wenn auch dieses Handbuch betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen großen Raum zumisst. Gleichzeitig müssen die Herausgeber einräumen, dass es heute erst ansatzweise Bewertungsverfahren für immaterielle Vermögenswerte und die Bemessung des Wertschöpfungsbeitrags der Kommunikation gibt.

Von großem Wert für den Leser ist, dass er durch das Handbuch nicht nur eine qualifizierte Einführung in zahlreiche Einzelaspekte der Unternehmenskommunikation bekommt. Durch die umfangreichen Literaturhinweise am Ende eines jeden Kapitels lassen sich spezielle Fragestellungen zielgenau in weiteren Abhandlungen vertiefen.

Die einzelnen Facetten der Kommunikation sind in neun Hauptteile gegliedert: Grundlagen, Rahmenbedingungen, Dimensionen, Umfeld/Meinungsbildung, Ziele/Planung, Instrumente, Evaluation, Organisation, Strategien für besondere Bezugsgruppen und Konzepte für besondere Situationen. Mit dieser klaren Aufteilung lässt sich schnell identifizieren, wo man Wissen zu einem aktuell interessanten Thema findet. Das Handbuch ist quasi eine analoge „Datenbank“, auf deren Inhalte man ohne weiteres selektiv und situativ zugreifen kann.

Für Top-Manager, die es gewohnt sind, stets nur das „Management Summary“ zu lesen, weil sie für mehr keine Zeit haben, wartet jedes einzelne Kapitel mit einer Kurzzusammenfassung auf, so dass die Hemmschwelle der 1347 Seiten nicht gar zu hoch liegt. Damit beherzigen die Herausgeber eine ihrer eigenen Beobachtungen: „Die Aufmerksamkeit der Rezipienten ist eine knappe Ressource“.

Natürlich spielen die Online-Kommunikation, die audio-visuelle Kommunikation und Social Media in der zweiten Auflage des Handbuchs eine große Rolle, weil die Herausgeber gleich in ihrem Einleitungsbeitrag auf den Kontrollverlust hinweisen, den die schnelllebige und anarchisch anmutende Dynamik des Netzes bewirkt hat. „Auf unkontrollierbare Vorwürfe und Gerüchte in Echtzeit reagieren zu müssen“, ist laut den Herausgebern eine neue Aufgabe für Unternehmen. Diesem Aspekt wird beispielsweise mit dem Kapitel „Das Reputationsrisiko“ Raum eingeräumt.

Fazit: So viel Gelehrsamkeit war selten zwischen zwei Buchdeckeln. Wer sich durch das Werk durcharbeitet, hat so etwas wie ein Grundstudium der Unternehmenskommunikation absolviert. Ob sich das Handbuch als Standardwerk etablieren wird, bleibt abzuwarten. Das Zeug dazu hat es. Und ein im wahren Sinne des Wortes gewichtiger Beitrag ist es mit seinem Umfang allemal. Und wem das Papier zu massiv ist, für den wird interessant sein, dass Springer Gabler mit dem Handbuch erstmals ein Fachbuch als käufliche E-Reference im Web anbietet.